Die Stärkung der Mitte verhindert Extremismus

Interview mit Bart Brandsma, ein niederländischer Experte für Polarisierung

Mit der Rubrik „Vier Fragen an …“ möchten wir unterschiedliche Meinungen und Einstellungen aus verschiedenen Blickwinkeln zum Thema Zivilcourage vorstellen und haben eine ganze Reihe an wichtigen Partnern und Experten befragt. Heute: Bart Brandsma (1967), ein niederländischer Experte für Polarisationsdynamik. Er arbeitet europaweit, um sich mit polarisierten Situationen auseinanderzusetzen und zu beraten und schult Fachleute, Strategien zur Depolarisierung zu finden. 

1. Was ist ein Ziviler Held für Sie?
Wir leben in einer Zeit, in der extreme Meinungen und harte Positionen an Boden gewinnen. Dazu brauchen Sie nur Radio zu hören oder in Fernsehen und Internet zu schauen. Für mich ist ein Held in diesen Tagen die Person, die nicht von den Kräften irregeführt wird, die uns zur Polarisierung verleiten. Wir brauchen Zivilcourage, um nicht dem Schwarz-Weiß-Denken zu folgen, und haben den Mut, Grautöne zu sehen. Für die Gesellschaft ist es von größter Bedeutung, dass wir dem Extremismus entgegentreten und einen Mittelweg suchen können, sowohl beruflich als auch privat. Stille Helden sind diejenigen, die die Mitte stärken, durch Zuhören, Weisheit, Führung und unabhängiges Denken. Sehr oft sehen sich diese Menschen nicht als Helden.

2. Inwiefern hat sich die Polarisierung über das Internet verändert?
Wir können erkennen, was Polarisierung antreibt. Eine Aussage über die Identität des Einzelnen ist ein Kraftstoff. Frauen sind dies, Muslime sind das, Gutmenschen sind…, alle Pegida-Anhänger sind… alle Umweltschützer sind… alle Politiker sind es, Nordländer sind es… Bayern sind es… Berliner sind es… Ossies, Wessies… Polarisation war natürlich schon in der Vorgeschichte da, aber mit jedem neuen Medium, das hinzukommt, gibt es eine neue Chance, mehr Treibstoff für die Polarisation zu liefern. Mit dem Radio in den 30er-Jahren, mit dem Fernsehen kurz vor der Revolution der sechziger Jahre. Und jetzt haben uns die sozialen Medien einen riesigen Anschub für Polarisierung gegeben. Twitter ist der Kraftstoffversorger Nummer eins. Geschlossene Facebook-Gruppen arbeiten auch daran, Polarisierung zu fördern.

3. Wie hängen Polarisierung und Radikalisierung zusammen?
Das Gegenteil von Polarisierung ist der soziale Zusammenhalt. Manchmal polarisieren Gruppen, das ist auch gar nicht schlimm. Manchmal stellen junge Menschen den Status quo in Frage, Aktivisten fordern Unternehmen heraus. Daran ist auch nichts auszusetzen. Und noch mehr: Wir brauchen das, um uns von Zeit zu Zeit zu ändern, und wir brauchen Entwicklung. Polarisierung kann bereichernd sein, solange der soziale Zusammenhalt vorhanden ist. Das Problem beginnt, wenn polarisierende Menschen radikalisiert werden. Das ist nur ein (ungesunder) Schritt weiter; und nach der Radikalisierung gibt es zwei weitere Schritte, eine Linie zum Extremismus und sogar noch weiter: zum Terrorismus.

4. Welche Aufgabe hat die Zivilgesellschaft für die Verhinderung von Radikalisierung?
Es gibt eine Antwort, um eine Radikalisierung zu stoppen, und das ist die Stärkung der Mitte, die den Menschen die Möglichkeit gibt, sich auszudrücken und in der Mitte gehört zu werden. Wenn Menschen gehört werden, brauchen sie nicht zu schreien. Die Gesellschaft hat oft das Gefühl, dass sie Polarisierung bekämpfen muss. Meine Antwort ist: Nein (!) – weil es die extremen Individuen stärken wird. Die Zivilgesellschaft ist auf die Zusammenarbeit all jener angewiesen, die an diesen Mittelweg glauben und in ihm arbeiten; Polizei, Richter, Bürgermeister, Lehrer, Minister…. all jene Gruppen, die ich ausbilde, um sie in ihrer Aufgabe der Depolarisierung zu stärken.

Zur Website von Bart Brandsma

 

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